Weine ist nicht mehr überlebensfähig.....

Jeder kennt die berühmte Klassifizierung der Médoc-Weine, die seit 1855 fast nicht mehr verändert wurde.

Die Genossenschaft der Weinbauern in Saint-Emilion vermeinte im Sinne dieser Klassifizierung zu handeln, als sie nicht nur gewisse Ausnahmelagen festlegte, sondern auch die Qualität der dort produzierten Weine kontrollierte. Daher werden seit 1955 die Weine der Châteaux, die zu den Kandidaten für  diese Ausnahmelagen zählen, degustiert und die Weingüter alle zehn Jahre visitiert. Auf Grund dieses Kontrollsystems glaubte man, frühere ungerechtfertigte Vorteile beseitigt zu haben, und der Konsument ist der Überzeugung, dass damit die Qualität der Weine gewährleistet sei.

Leider ist dem in Wirklichkeit nicht so: Die aufmerksame Lektüre des "Decret de Classement" (J.O. vom 13. Januar 1984) zeigt zahlreiche Ungereimtheiten auf, die mit jeder Klassifizierung augenscheinlicher werden.

Der Konsument, sei er nun Fachmann oder Laie, sollte wissen, dass die Jahrgänge der degustierten Weine nicht dieselben sind, die später die Bezeichnung "Grand Cru Classé" tragen. Tatsächlich verkostet die Kommission alle zehn Jahre mindestens sieben Jahrgangsweine aus zehn Jahren. So werden zum Beispiel für die Klassifierung, die im September 2006 vorgenommen wird, die Weinjahrgänge 1993 bis 2002 zur Degustation herangezogen. Auf Grund der Bewertung der Weine dieser Jahrgänge zeichnet dann die Kommission die Weine von 2006 bis 2015 mit der Klassifizierung "Grand Cru Classé" aus. Das heißt, der Konsument hat auf Grund  der Verschiebung der Jahrgangsklassifizierungen keinerlei Garantie für die entsprechende Qualität.  In einer Wettbewerbssituation ist das Faktum, einen Wein eines anderen als des geprüften Jahrgangs auszuzeichnen, eine Täuschung, bzw. ein Betrug.

Alle zehn Jahre beweist die Kommission die Unlogik ihrer Vorgangsweise mit dem Faktum, dass Weinen der Châteaux, die ohne Degustation im voraus als "Grands Crus Classés" klassifiziert worden waren, nun nach ihrer Degustation die Klassifizierung  "Grand Cru Classé" für die zukünftigen Jahrgänge aberkannt wird. 

1996 klassifizierte die Kommission zum Beispiel 55 Châteaux als "Grands Crus Classés"  - wobei wir vernachlässigen wollen, dass die "1er Grands Crus Classés" niemals aus der Klassifizierung genommen werden - ,  im Jahr 2006, d.h. zehn Jahre später, bei der Verkostung der vorher im vorhinein als "Grands Crus Classés" klassifizierten Weine, schloss die Kommission elf Châteaux aus der Liste der "Grands Crus Classés" aus. Das heißt, dass die Fehlerquote der Beurteilung der Weinqualität der Kommission bei der derzeitigen Methode bei 20 % liegt - ein enorm hoher Prozentsatz, der skandalös und inakzeptabel ist.

Das Risiko einer Fehleinschätzung ist noch höher als das Risiko beim Russischen Roulette, das immerhin eine Chance von 1: 6 bietet, sich zu töten, während bei der Klassifizierung der Saint-Emilion - Weine die Chance auf ein Fehlurteil bei 1 : 5 steht. Für den letzten Klassifizierungszeitraum ist damit erwiesen, dass der Konsument in einem von fünf Fällen über die Qualität der Ware getäuscht wurde, und dies durch eine schlecht konzipierte und falsch angewandte Reglementierung.

Wie werden die in diesem Monat klassifizierten Châteaux beurteilt werden? Welche Fehleinschätzungen wird man in zehn Jahren feststellen müssen? Die Fehler in der Reglementierung entziehen der Klassifizierung jede Glaubwürdigkeit.

Was die übrigen Beurteilungskriterien betrifft, so werden sie wenig oder gar nicht berücksichtigt und angewandt: Weder die Weingüter noch die Weingärten und Keller  werden besichtigt und überprüft, die Kommission weigert sich, die Vorschriften des Artikels 6 der Verordnung anzuwenden. Darüber hinaus hat niemand die Gewissheit, das die übergebenen Betriebsinformationen zur Gänze gelesen werden: und tatsächlich lassen manche Fragen, die anlässlich einer Versammlung den Weinproduzenten gestellt wurden, darauf schließen, dass die Kommission nur unzulänglich über die Châteaux informiert ist und auch die Dossiers nur oberflächlich gelesen hat.

All dies wäre nicht eingetreten, wenn das Projekt einer neuen Klassifizierung, die ich gemeinsam mit der Genossenschaft der Weinbauern von Saint-Emilion ab Ende der 90er Jahre und in den Jahren danach ausgearbeitet habe, angewendet worden wäre. Dieses Projekt, das von der Genossenschaft nicht weiter verfolgt wurde, sah vor, dass jeder Wein, der die Bezeichnung "Grand Cru Classé" auf seinem Etikett trägt, degustiert wird und damit tatsächlich dieser Qualität entspricht, was eine fundamentale Qualitätssicherung  für den Konsumenten mit sich bringen würde.

Was soll man zu dem gegenwärtigen System sagen, das einer - logischerweise nicht unfehlbaren -  Kommission von neun Mitgliedern,  die zum Großteil weder Winzer noch Weingutbesitzer sind, so viel Macht gibt, dass sie aus heiterem Himmel alle zehn Jahre große Familienbetriebe in Existenznöte bringen kann?

Auf Grund dieser internen Mängel, die bisher nicht korrigiert wurden, ist die Klassifizierung der "grands crus" von Saint-Emilion in ihrer derzeitigen Form nicht überlebensfähig. Sie aufrecht zu erhalten, hieße den Konsumenten zum Narren zu halten.